Neues zur inkongruenten Gewinnverwendung und Gewinnausschüttung bei Kapitalgesellschaften
39. Münchner Unternehmenssteuerforum, 28. Juni 2023
Inkongruente oder disquotale Gewinnausschüttungen, bei denen der Gewinn abweichend von der Beteiligungsquote ausgeschüttet wird, sind gesellschaftsrechtlich zulässig und seit langer Zeit anerkannt. Die Wirksamkeit richtet sich allein nach den Regelungen des Gesellschaftsvertrags. Gerade bei der flexiblen Rechtsform der GmbH sind der Gestaltungsfreiheit nahezu keine Grenzen gesetzt. Auch steuerrechtlich scheint die Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen im Grundsatz geklärt. Das Steuerrecht erkennt vom Beteiligungsverhältnis abweichende Gewinnausschüttungen vorbehaltlich der Wirksamkeit des maßgeblichen Gesellschafterbeschlusses an. Gleichwohl geht die Praxis zurückhaltend mit inkongruenten Gewinnausschüttungen um. Dies liegt nicht zuletzt an dem nach wie vor bestehenden Möglichkeit eines Gestaltungsmissbrauchs im Sinne des § 42 AO. Die Finanzverwaltung zieht die Grenzen einer zulässigen inkongruenten Gewinnverteilung daher enger und droht bei Nichtbeachtung mit den unangenehmen Folgen einer verdeckten Gewinnausschüttung und hält – in Ausnahmefällen – der Schenkungsteuer unterliegende freigebige Zuwendungen für möglich. So lehnte die Finanzverwaltung bisher die Anerkennung einer inkongruenten Gewinnausschüttung ab, die auf einem satzungsdurchbrechenden Beschluss basiert (BMF-Schreiben v. 17.12.2013). Der Bundesfinanzhof sieht in inkongruenten Gewinnausschüttungen demgegenüber keine abstrakte Missbrauchsgefahr. Voraussetzung der Anerkennung ist lediglich die zivilrechtlich wirksame Gewinnausschüttung. Dem entsprechend hat der BFH nun auch eine inkongruente Vorabgewinnausschüttung anerkannt, die auf Grund eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses erfolgte (BFH v. 28.9.2022 – VIII R 20/20, wie zuvor schon FG Köln v. 14.9.2016 zur disquotalen Gewinnverteilung im Vorfeld einer Veräußerung).
Während die frühere Diskussion gesellschaftsrechtlich überwiegend die inkongruente Gewinnausschüttung betraf, rückt durch die Rechtsprechung nun auch die inkongruente Gewinnverwendung, die systematisch eine Stufe vor der Gewinnverteilung liegt, stärker in den Fokus. Mit Urteil des Bundesfinanzhofs vom 28.9.2021 (VIII R 25/19) wurden die anerkannten Gestaltungsmöglichkeiten um die gespaltene bzw. zeitlich inkongruente Gewinnverwendung mittels einer gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage signifikant erweitert. Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung auf die von der Rechtsprechung eröffneten Möglichkeiten inkongruenter Gewinnverwendung und Gewinnausschüttung reagiert.
Der Entwicklung in der Rechtsprechung und den daraus resultierenden Fragestellungen widmete sich das 39. Münchner Unternehmenssteuerforum. Zu Beginn der Veranstaltung stellte Herr Dr. Christian Levedag (Richter am Bundesfinanzhof im VIII. Senat) die jüngere Rechtsprechung zur inkongruenten Gewinnverwendung und Gewinnausschüttung dar und arbeitete die darin zu erkennenden Leitlinien heraus. Im Anschluss daran zeigte Herr Dr. Ralph Obser (BIRKENMAIER & OBSER Rechtsanwälte) die sich aus der Rechtsprechung ergebenden Konsequenzen für die Praxis auf und nahm aus Sicht der Beraterschaft Stellung.
Nachfolgend wurden die Thesen und Fragestellungen der Einführungsreferate unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen (LMU) mit den Referenten sowie Herrn Dr. Arnd Weißgerber (Leiter des Referats für Unternehmensbesteuerung und Betriebsprüfung, Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat) und Herrn Axel Neumann-Tomm (Head of Tax ADAC SE) diskutiert und Fragen aus dem Publikum beantwortet.
Leitung: Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen (LMU)
Referat 1: Dr. Christian Levedag (Richter am Bundesfinanzhof im VIII. Senat)
Referat 2: Dr. Ralph Obser (BIRKENMAIER & OBSER Rechtsanwälte)
Podium: Dr. Arnd Weißgerber (Leiter des Referats für Unternehmensbesteuerung und Betriebsprüfung, Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat)
Podium: Axel Neumann-Tomm (Head of Tax ADAC SE)